Bühnenmusik Martin Lejeune, Ensemble 9.November

Tanz der Heuschrecken – Ensemble 9.November

Eine weitere Auftragskompostion für das Ensemble 9.November, die Bühnenmusik für den Tanz der Heuschrecken, diesmal zusammen mit Elvira Plenar.

Teile der Bühnenmusik habe ich auch hier später für Bandprojekte genutzt.

Die Musik ohne Theater klingt so:

https://soundcloud.com/user-500510028/heuschreckenliebe-comp-martin-lejeune

PREMIERE: Do. 18. MÄRZ 2010
WEITERE AUFFÜHRUNGEN: 19.3./20.3./21.3./25.3./26.3./27.3./6.5./7.5./4.11./5.11./6.11.2010

Bühnenmusik Martin Lejeune, Ensemble 9.November

 

Die Produktion: „Tanz der Heuschrecken“ befasst sich mit dem, vom E9N Theater dramatisierten, Roman : „Marge brute“ (deutscher Titel :“Und morgen bin ich dran. Das Meeting“) , des französischen Autors Laurent Quintreau.
Es ist eine derbe Abrechnung mit der modernen turbokapitalistischen Hölle, ihren polierten Oberflächen und den sich darunter verbergenden zerbrochenen Seelen.

Inhalt:

Anlaß ist ein, ins Groteske gesteigertes, Vorstandstreffen, das Meeting. Über allen Köpfen kreist das Damoklesschwert der Kündigung. Leicht angelehnt an Dantes Inferno (Göttliche Komödie) : Vorhölle , Fegefeuer , Paradies, werden in zehn inneren Monologen, die Leiden der Teilnehmer nach außen gekehrt.
Angst, Hoffnung, Rache, Verruchtheit, werden von bösartigen Zuckungen der Charaktere, in allerlei Varianten, mit Verbalzwillen abgefeuert. Von ihnen erfährt nur der Zuschauer , während dies alles, zwischen den Teilnehmern des Meetings, ein wohlgehütetes Geheimnis zu bleiben scheint.
Das E9N, in seiner Dramatisierung und musik-theatralischen Ausführung, interpretiert diesen Romanstoff , nicht unähnlich Dantes Höllen-Komödie, ebenfalls als eine Tragikomödie. Vor unserem inneren Auge läuft ein parodistisches Psychogramm eines, bis ins Letzte, verinnerlichten Verkaufsdenkens: MODERN TIMES , oder : „Der Untergang des Abendlandes beginnt im Konferenzraum…wäre da nicht der Poet, als rettender Anker!

Das „Ensemble 9. November“ vereint, in seiner gesamtkünstlerischen Arbeitsweise, Spiel, Musik, Gesang, Tanz und bildende Kunst, in einer alles umfassenden Bühnen- Sprache.

REGIE: Helen Körte
MUSIK / KOMPOSITION: Elvira Plenar, Martin Lejeune
DARSTELLER / INNEN: Hanna Linde, Verena Specht-Ronique,
Mirjam Tertilt, Jens Böke, Willi Forwick, Claudio Vilardo
CHOREOGRAFIE: Guido Markowitz
BÜHNE/OBJEKTE: Wilfried Fiebig
KOSTÜME: Margarete Berghoff
LICHT: Sebastian Schackert
PROJEKTIONEN: Jörg Langhorst, Wilfried Fiebig
FOTOS: Sabine Lippert
Mit freundlicher Unterstützung:
Kulturamt Frankfurt am Main,
Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst,
Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main

PRESSESTIMMEN
Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.3.2010

Lustig ist das Insektenleben
Es sei denn, man hüpft in die Falle: Das Frankfurter Gallus-Theater zeigt
„Tanz der Heuschrecken“

Heuschrecken – allerliebste Tiere, wenn sie auf Sommerwiesen herumhüpfen. An diese harmlosen Vertreter der Ordnung Ensifera und Caelifera hat der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering gewiss nicht gedacht, als er vor fünf Jahren Hedgefonds und ähnliche Raffgier-Vereinigungen als Heuschreckenplage bezeichnete. Ihm vor Augen standen vielmehr die gefräßigen Schwärme der Wanderheuschrecken, welche von Region zu Region wandern und eine ratzekahl gefressene Vegetation zurücklassen.
Im Frankfurter Gallus-Theater, also noch in Sichtweite der Kapitalhüpfer in den Banktürmen, springt jetzt ein Einsatzkommando solcher Müntefering-Heuschrecken herum. Der Einfall auf die Bühne, den Oberschrecke Rorty, Vorstandsvorsitzender eines multinationalen Unternehmens, und seine durch Umstrukturierungspläne verschreckten Unterschrecken vornehmen, verdankt sich dem Einfallsreichtum der Regisseurin Helen Körte. Sie hat unter dem Titel „Tanz der Heuschrecken“ den Roman „Und morgen bin ich dran – Das Meeting“ des französischen Autors Laurent Quintreau, im wahren Leben Artdirector eines Pariser Werbeunternehmens, zu einem Theaterstück verwandelt, das die geheimen Gedanken der Manager ausspricht: In Worten, Bildern, Farben, Skulpturen, Songs, Tanzfiguren, Film und Musik. So also, wie es Körte in ihrem unverwechselbaren multimedialen Stil seit vielen Jahren macht. Wirtschaftsheuschrecken – dies lernt man aus dem Stück – fressen im Gegensatz zu Wanderheuschrecken nicht nur Länder kahl, sie fallen auch übereinander her und zerstören in ihrer Fixiertheit auf die Steigerung der Gewinnmargen oder die Reduzierung der Lohnkosten ihr eigenes Inneres, ihre Identität und Menschenwürde. Sie mutieren zu Schrumpfpersönlichkeiten, zu insektenhaften Wesen, gesteuert von ihrer Triebstruktur: von Gehässigkeit, Eifersucht, Geilheit, Größenwahn und Frustration.
Alle sitzen sie in diesem Stück in der Falle, am Ende auch der skrupellose Rorty, dessen Darsteller Willi Forwick mit seinen unter die Füße geschnallten Prothesen tatsächlich einer Heuschrecke ähnelt. Doch vorerst thront der Konzernchef auf einem hölzernen Herrscherstuhl und tyrannisiert seine Manager, die in ihre von Bühnenbildner Wilfried Fiebig skulptural einfallsreich gestalteten Schreibtisch-Gefängnisse eingezwängt sind (Hanna Linde, Verena Specht-Ronique, Mirjam Tertilt, Claudio Vilardo, Jens Böke). Ihr Fluchtweg vor Leistungszwang und Furcht vor Jobverlust führen diese Damen und Herren in den Tagtraum. Hier führen sie einen inneren Monolog, der immer wieder zu einer Suade gegen den Chef, die Kollegen und gegen sich selbst ausartet.
„Tanz der Heuschrecken“ ist weit entfernt vom Agitationstheater, das zum Sprengen der Ketten aufruft. Die musikalische Groteske verbildlicht vielmehr die innere Hölle von Menschen-Insekten, die durch den Druck der Konkurrenzverhältnisse ihr Ich verloren haben. In zehn Bildern breitet Körte die Höllenfahrt der Manager aus, manche der Bilder prägen sich nachhaltig ein. Schade, dass Franz Müntefering die Inszenierung nicht sehen wird. Der alte Heuschrecken-Fachmann könnte im Gallus-Theater auf seinem Spezialgebiet etwas dazulernen.

HANS RIEBSAMEN
Feuilleton Frankfurter Rundschau 22.3.2010

Das Gestell der Moderne
In „Tanz der Heuschrecken…“ entdeckt das Ensemble 9. November die Ausweglosigkeit der Krise

Es beginnt wie ein Standard-Statement zum Gewinn-Hype der Gegenwart: Ein bisschen flach die Sache mit den Heuschrecken, wie damals in „Jud Süß“, wo die Sprung-Insekten bereits als Schlagwort für das zerstörerische Finanzjudenkapital herhalten mussten (komisch, dass das heutzutage niemanden stört). Aber für das Ensemble 9. November ist ein stereotypischer Kern immer nur der Anlass, die Ober- und Untertöne eines Schlagworts, die Macht der Schwingungen und Strömungen in den einzelnen Akteuren, ihren Körpern, ihren Stimmen und ihren Gesten zu aktivieren. Und wie immer, so auch jetzt wieder, beim „Tanz der Heuschrecken“ im Gallus Theater ist, ein großer Pluspunkt die Verlängerung der Interaktion der Spieler in ihre szenischen Prothesen hinein, die Wilfried Fiebig entworfen hat: Gestänge, Schnüre-Konstruktionen, Gerätschaften und Stuhl-Skulpturen, die die börsennotierten und gewinnorientierten Manager- Akteure auf Trab und im Griff halten. Man bewegt sich buchstäblich im Gestell der Moderne mit ihrer edel-klassischen Stahlrohr-Ästhetik, die zwängt und stachelt, mal auf große Fahrt geht und die schönste, choreografierte Bühnenarchitektonik abgibt.

Wünsche der Eingezwängten

Der Purismus der Edel-Sachlichkeitsform und dazwischen die unabgegoltenen Wünsche der Eingezwängten: Der 2006 in Frankreich erschienene Roman „Marge brute“ von Laurent Quintreau ist die Grundlage der knapp zweistündigen Aufführung, die Helen Körte als multimediales Aktionstheater präsentiert. Im Verein mit der psychodramatischen Klangkulisse von Elvira Plenar und Martin Lejeune, mit den Fiebig-Objekten und Bildprojektionen, mit den Kostümen Margarete Berghoffs und dem Licht Sebastian Schackerts ein Gesamtkunstwerk, das immer mehr Facetten zeigt. Ein hübscher Tanz mit hervorragenden Schauspielern (stellvertretend: Willi Forwick) und exzellenten Songs am Abgrund, an dem sich das Verstricktsein in den vibrierenden Maschen der Regelkreise sowohl in den Menschen selbst als auch zwischen ihnen ausdrückt. Keiner, ob oben oder unten, kann entkommen, das Gestell ist allmächtig und über den gestellten Menschen-Insekten könnten sich an diesem Abend Adorno, Foucault und Heidegger die Hände reichen.

BERNHARD USKE

STRANDGUT, Das Kulturmagazin Mai 2010

Gallus Theater
TANZ DER HEUSCHRECKEN:
Kretins wie wir.

Manager sind auch nur Menschen. Selbst jene, die Politiker gerne als eine die ach so soziale Marktwirtschaft pervertierende Plage denunzieren. Im Roman „Marge brut“ seziert Laurent Quinceau die Spezies, indem er eine Vorstandssitzung aus der Sicht der Teilnehmer schildert. „Die geheimen Gedanken der Manager“ untertitelt E9N-Regisseurin Helen Körte das Stück, das sie daraus macht. In dem entpuppen sich die beruflichen Rollen schnell als bloße Fassade eingefleischter Ängste und Wünsche. Unter dem Druck von Krise und Konkurrenz verrenken sie sich, wie auf immer heißer werdenden Herdplatten. So kaputt der geile Pujol die fette Bremont oder Boss Rorty auch scheinen: Ihre Welt ist uns erschreckend vertraut. Alles Kretins – wie du und vielleicht auch ich. Körte inszeniert diese Innenwelten als Heuschreckentänze. Sechs Schauspieler sind in Käfig- korsette gezwängt, mit Telephonstrippen geknebelt und robote(r)n auf Geheiß im Takt, um dann traum- oder albtraumhaft aus ihren Rollen zu brechen. Ein Höhepunkt : Verena Specht-Ronique als verführerische Spinne im Netz. Das von den Musikern Elvira Plenar und Martin Lejeune untermalte Schauspiel mit Choreographien, Videos, Songs und skurrilen Geräten beansprucht all unsere Sinne – und vergnügt sie auch. Ästhetisch, geistreich und kritisch: Fürwahr ein Kunststück und vom Besten der Theatersaison.
STRANDGUT, Das Kulturmagazin Mai 2010