Bluthochzeit, Bühnenmusik Martin Lejeune, Ensmble 9.November, Gallustheater

Bluthochzeit – Ensemble 9. November

Für die Inszenierung der Bluthochzeit bekomme ich den Zuschlag für die Komposition der Bühnenmusik. Diesmal ein Kollege mit am Start: Uwe Kremp schreibt die Vokaleinlagen.

Ich lasse mich durch den spanischen Stoff vom Flamenco und klassischen spanischen Komponisten beeinflussen. Versuche aber Klischees zu vermeiden und auch in Ermangelung meiner Kenntnisse der klassischen Flamenco Technik suche ich nach „meiner Variante“ auf der elektrischen Gitarre. Im Duo mit dem Multiinstrumentalisten Jens Hunstein, gelingen uns abwechslungsreiche Texturen in kleiner Besetzung. Auch Looper und Delayeffekte kommen meinerseits zum Einsatz. Mit Slide, diversen Bürsten, Nagelfeilen, etc. prepariere ich meine E-Gitarre für die Szenen, die mit leichten filmmusikartigen Stimmungen unterlegt werden sollen.

PREMIERE: 15. Oktober 2014 weitere Aufführungen: 16.10./17.10./18.10./5.11./6.11./7.11./8.11.2014/ 6.2./7.2.

Videos:

https://www.youtube.com/watch?v=NpeD1nlDloI

https://www.youtube.com/watch?v=vN5OWlcEvrs

BLUTHOCHZEIT verbindet das Schicksalhafte der griechischen Tragödie mit dem Irrsinn einer großen Leidenschaft im Schatten der Gewalt. Wir erleben das Archaische in Form einer unausweichlichen Konfrontation, an deren Ende die Rettung der Familienehre durch Selbstjustiz steht. Bemerkenswert dabei ist die phantastische, poetische Kraft der Sprache. Der Rhythmus des Textes und die ausgeklügelte Körper- Musik- und Bildersprache wie sie in den Hochzeitstänzen kulminiert: Bunt, lyrisch und rasant zugleich stürzen sie in einen märchenhaften Rausch der Wahrnehmung. Traditioneller Auslöser des Ehrenkonflikts ist der Brautraub, der schon das Motiv der Rache in sich birgt. Zwei Familien, zwei Kontrahenten, Hass und Trauer, gegenseitige Gewalt. Bilder einer Landschaft, die lacht und weint. Der Mond und der Tod – La Muerte -, die anfänglich zu Komplizen der Liebenden werden, um sie später dann doch zu verraten. Mond, Tod und Erotik vereinen sich. Durch ihren Tod vollenden die Kontrahenten was vollendet werden muss. Am Anfang die Mutter als Ikone, virulent, feurig, am Ende die Trauergesellschaft mit Masken überzogenen Gesichtern. Übrig bleiben die zerpflückte Braut, blitzende Messer, und ein letzter, stummer Aufschrei wie in einer rot- gefärbten Oper. Aber der Tod ist jung und schön und nicht wiederzubeleben. Musik Improvisationen so wie eigens für die Inszenierung durchkomponierte Musik, mehrstimmiger Gesang, und Filmprojektionen runden das Spiel der vielseitigen AkteurInnen ab. Zusammen mit der skulpturalen, transparenten Bühne, surrealen Masken und Kostüme erzeugen sie ein einzigartiges Gesamtkunstwerk.

Die „unerfüllte Leidenschaft“ ist eine Metapher, die sich über Jahrhunderte in unterschiedlichen Formen darstellt und darin ihre Allgemeingültigkeit manifestiert und bewahrt. (H.K.)

Regie, Konzeption, Dramaturgie:
Helen Körte

DarstellerInnen:
Ruth Klapperich, Dzuna Kalnina, Susanne Pfitschler, Simone Greiss, Raija Siikavirta, Claudio Vilardo, Damaso Mendez, Mario Krichbaum, Elena Thimmel, Annemike Plößer
Komposition (instrumental): Martin Lejeune
Komposition (vokal): Uwe Kremp
Musiker: M. Lejeune (g) Jens Hunstein (reeds, acc.)
Bühne, Objekte, Kostüme:W. Fiebig
Kostüme: Margarete Berghoff
Choreographie:Chananjah Plößer, Helen Körte
Film, Video, Projektionen, Grafik: Jörg Langhorst
Assistenz: Rebekka Waitz
Licht: Johannes Schmidt

 

PRESSESSPIEGEL

Strandgut 10/2014: Winnie Geipert

Aus dem Füllhorn der Musen
Ensemble 9. November: Begeisternde »Bluthochzeit«

Man hat es ja ahnen können — und geahnt (Strandgut 10/2014): Helen Körtes Inszenierung von Federico Garcia Lorcas »Bluthochzeit« für das Ensemble 9. November ist zu einem freudvoll und farbenfroh überquellenden Kunstfest geworden, das vom Tanz und Pantomime über Gesang und Musik bis zu Kostüm und Bühnenausstattung reicht und selbst das Medium Film nicht auslässt. Und das obendrein eine hochliterarische und fesselnde urspanische Geschichte um Ehre und Tod, um Blut und Liebe erzählt, in der sich eine leidenschaftliche Braut noch während der Hochzeitsfeier mit ihrem Ex-Lover aus der Unterschicht auf einem Pferd in die Montanas davonmacht. Selbstverständlich zieht das Rache und Ehrenmorde der so stolzen, leidenschaftlichen Männer (Claudio Vilardo und Mario Kriechbaum) nach sich – und lässt nur die unglücklichen Frauen zurück: Simone Greiss, als die sinnlichste aller Bräute in Lockenpracht, Ruth Klapperichs tiefbittere, verhärmte Mutter und die anmutig-humorvolle tänzelnde Raija Sllkavirta als Magd. Silkavirta tanzt überdies mit Damaso Mendez die allegorischen Figuren des Mondes und der Bettlerin in Lorcas Werk, live begleitet von der manchmal aufreibenden, manchmal melancholischen Musik Martin Lejeunes (Gitarre) und Jens Hunsteins (Akkordeon, Trompete). Und es wird spanisch gesteppt und gesungen (Dzuna Kalneina, Susanne Pfitschler)‚ mit portugiesischem Sidestep (Elena Thimmel). Es ist mehr, ja: viel mehr, als ein Besuch an Ideen und Inspirationen an Bildern und musischen Genüssen verkraften kann, und beschenkt reich.

 

Frankfurter Rundschau 16.10.2014:

Ach, wäre es schön, über die Liebe zu kichern
Von JUDITH VON STERNBURG

Seltsames Spanien: Das Frankfurter Ensemble 9. November nimmt sich im Frankfurter Gallustheater Federico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“ vor.

Die dunkle Unerbittlichkeit von Federico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“ (1933) findet beim Ensemble 9. November eine gute Heimstatt. Es geht im Stück nicht nur um Unglück bei gleichzeitiger Unterdrückung von denkbarem Glück, sondern um die Rituale, die eine Gesellschaft dafür vorsieht. Die Klage, die Wutrede, vor allem aber die Selbstbeherrschung, in der sich alles mit einem Aufstampfen begnügen muss. Sei es das Aufstampfen des Stuhlbeins oder des eigenen Fußes. Denn wir sind in Spanien. Spanien ist seltsam. Das hängt hier auch damit zusammen, dass hinten in der Ecke Martin Lejeune und Jens Hunstein ihre Instrumente aufgebaut haben und so tun, als würden sie Flamenco spielen. Aber Lejeunes Flamenco ist wie auseinandergesägt und neu zusammengesetzt, und sein Pathos ist kalt und seine verheulte Seite verschwunden. Es hört sich großartig an. Bei Bedarf krispeln, grummeln, knackern die Musiker auch in die Handlung hinein. Schräge Kunstlieder in Volksliedmanier (Uwe Kremp) werden veritabel als klassische Duette für Frauenstimmen (Susanne Pfitschler und Dzuna Kalnina) gesungen. Zum seltsamen Spanien gehören ebenso die Kostüme und Objekte von Wilfried Fiebig, wie immer von einem anderen Stern, aber die Herren tragen Schärpe, und da ist das prächtige Hochzeitskleid und dort ist sogar ein praktischer kleiner Fensterrahmen, aus dem sich die Tratscherin lehnen kann, um alles mitzubekommen. Die Mutter hat ein überlanges goldenes Kleid an, dessen Saum rundum mit Backsteinen am Boden gehalten wird. Ein Gefängnis, in dem man sich nurmehr ein wenig räkeln kann. Die Messer, die in Garcia Lorcas Spanien das Geschehen bestimmen, wie heute in den USA die Schusswaffen (so die Mutter: ohne Messer keine raschen Morde), sind unhandlich, aber scharf und von blendendem Glanz.

Munter klappert der Tod
Zum seltsamen Spanien im Gallustheater gehört aber vor allem die Bewegungssprache von Regisseurin Helen Körte, die die Darstellerinnen manchmal zu Tänzerinnen macht, die der großen Tragödie Platz schafft – die große Tragödie bricht sich nicht nur im seltsamen Spanien durch Schweigsamkeit Bahn -, um dann wieder verspielt ein paar shakespearische Narren auf der Bühne herumkugeln zu lassen. Eines der Narrenkostüme macht aus dem Narren auch einen munter herumklappernden Tod. Das Ensemble 9. November ist in Spiel- und Erzähllaune. Die zehn Spielerinnen und Spieler wechseln flink die Rollen, aber es gibt auch feste Zuordnungen. Simone Greiß ist die Frau zwischen zwei Männern, die Möglichkeit von Glück lässt sie gegen alle Logik strahlen. Ihr Gegenstück, die Schwiegermutter in spe, Ruth Klapperich, ist eine klassische Bernarda-Alba-Vorläuferin. Raija Siikavirta wieselt als omnipräsente Beobachterin & Kommentatorin durch die 100 Minuten. Der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinesein – hier ist keiner je allein und jeder ist einsam außer den Liebenden – wird hier immer wieder zum Bild. Die Ideen spülen die „Bluthochzeit“ aber nicht weg, sie bekommt nur eine ganz eigene Umgebung. Noch bevor die Schauspieler auftreten gibt es eine kleine Filmeinspielung (Jörg Langhorst), eine Art negativer Scherenschnitt. In reizender Stummfilmübertreibung findet sich ein Paar. Viel lieber würde man ja über die Liebe kichern, als über sie zu weinen.

 

Frankfurter Neue Presse 18.10.2014:

Die Braut brennt mit dem Geliebten durch
Von Marcus Hladek

Helen Körte vom „Ensemble 9. November“ inszenierte im Frankfurter Gallus-Theater die „Bluthochzeit“ von Federico García Lorca.

Im Untertitel des Stückes, „Lyrische Tragödie“, steckt bereits das Opernhafte. Beim C trifft dies auf fruchtbaren Boden, denn immer schon war der kreative Einsatz von Live-Bühnenmusiken für die Gruppe um Helen Körte (Regie, Konzeption, Dramaturgie) und Wilfried Fiebig (Bühne, Objekte; Kostüme mit Margarete Berghoff) Teil ihres „Markenkerns“. Dazu gehören auch wieder von der bildenden Kunst inspirierte Kostüme mit Bezügen auf historische Avantgarden wie Konstruktivismus und Kubismus. Gestänge, Plexiglas und weitere harte, dunkle oder lichte Materialien zählen neben daran befestigten Stoffrechtecken zu den Kostümapplikationen, welche die ansonsten traditionsbezogenen Kostüme verfremden. Requisiten wie scharfe Messer sind vergrößert und sichtbar spitzer als in der Realität. Hängende Raumobjekte erinnern an ein Nest, Schriftzeichen und anderes mehr; eine Art Trampolinfläche fokussiert, was in die Mitte gehört. So weit folgt Körte der „E9N“-Gruppentradition. Neu und erfrischend ist, wie sie „Bodas de sangre“ inszeniert: als „Musiktheater in acht Bildern“, relativ linear, szenisch und in größeren Dialogsequenzen erzählt.

Fremde Gefühlswelt
Mit einem Drama zu arbeiten, oder genauer: ein Drama arbeiten zu lassen, statt Romanstoffe zu „bebildern“, kommt hier dem szenischen Zusammenhang entgegen. So ist weniger „Manier“ in allem: der Stil, ein schöner Stil, drängt sich weniger vor die Geschichte mit ihren Leidenschaften und Einblicken in eine fremde, historische (Gefühls-)Welt. Es entsteht ein gut lesbares, nie verwirrendes Spiel aus und um „Bluthochzeit“. Rachetaten resultieren aus einer Hochzeit, als die zerrissene Braut (Simone Greis), die ihren Bräutigam (Claudio Vilardo) schätzt, gleichwohl mit dem früheren Geliebten (Mario Krichbaum) durchbrennt: „Es“ ist stärker als sie. Damit schafft sie einen Ehrenkonflikt zwischen Bräutigamsmutter (Ruth Klapperich) und Brautvater (Damaso Mendez, auch: Baumgestalt), wobei Lorca das Mantel-und-Degen-Topos der „Entführung“ variiert und bricht. Das Ensemble besteht aus Sängerinnen (Susanne Pfitschler und Dzuna Kalnina) und einem halben Dutzend Schauspieler plus Kind, das die Erzählung einrahmt (Annemike Plößer). Die teils feste Rollenzuteilung bleibt unbenannt. Der schöne Fluss des Ganzen, teils abrupt angeschrofft, verdankt sich auch den Musikern Martin Lejeune und Jens Hunstein, die auf der E-Gitarre Flamencoklänge anhärten oder auf Klarinette, Akkordeon und weiteren Instrumenten Gefühlsfarben malen. Wichtig sind auch der verwendete Trickfilm und das Licht mit den bunten Quadraten (Johannes Schmidt). Über allem leuchtet schicksalhaft der Wandermond, wie auch ein schönes Lichtspiel mit Raija Siikavirta (Dienstmädchen, Mondgestalt) auf dem Vorhang den symbolisch-komischen Auftakt setzt.

 

FAZ 18.10.2014, Hans Riebsamen

Gesamtkunstwerk der Leidenschaft
Das Ensemble 9. November zeigt im Frankfurter Gallus-Theater „Bluthochzeit“

Das Messer, das verfluchte Messer. Es sticht am Anfang von Federico Garcia Lorcas Tragödie „Bluthochzeit“ ins Herz und auch am Ende. Zu Beginn trifft es als Erinnerung an den Blutrache-Tod von Mann und Sohn das Herz der Mutter, am Ende die Herzen des Bräutigams und seines Nebenbuhlers Leonardo. In Helen Körtes freier Inszenierung des Lorca-Klassikers im Frankfurter Gallus-Theater sehen die Messer der tötenden Männer aus wie überdimensionierte Klingen einer Schlachtmaschine, die alles blutig zerfetzt: den Körper, die Liebe, die Leidenschaft. Am Ende sind der Bräutigam (Claudio Vilardo) und Leonardo (Mario Krichbaum), der die Braut am Tage der Hochzeit auf seinem Pferd entführt hat, tot, die Mutter und die Braut dagegen seelisch ermordet. Archaische Gefühle treiben die Protagonisten dieses Stückes. Willenlos ist die Mutter (Ruth Klapperich) ihrer Rachsucht ausgeliefert, ja, sie ist in dieser bildersüchtigen Inszenierung Körtes geradezu eingemauert in einen Kerker von Vergeltungswahn. Ihr überlanges goldfarbenes Kleid bildet auf dem Boden um sie herum einen weiten Kreis, der mit Ziegelsteinen fixiert ist. Das Hausmädchen (Raija Siikavirta) braucht eine Schubkarre, um all die Gewichte, die diese verbitterte Frau beschweren, wegfahren zu können. Auch die Braut (Simone Greiss) kann der Urmacht ihrer Triebe nichts entgegensetzen. Sie liebt ihren Bräutigam, freut sich auf ihr Zusammensein, auf die Ehe, auf Kinder und Familie. Aber die Leidenschaft zu Leonardo, ihrem früheren Liebhaber, ist stärker. Als ob ein Fatum sie triebe, verlässt sie die Hochzeitsgesellschaft, tritt zu Leonardo, sattelt sein Pferd und lässt sich von ihm wegführen aus Familie, Pflicht, Gewohnheit. Das Blut ist starker als der Wille. Die Leidenschaft setzt sich über den Anstand hinweg. Körte inszeniert die tragische Handlung nicht psychologisch, sondern in starken, zuweilen statuarischen Bildern. Man denkt nicht nur an jenen Stellen, da das Dienstmädchen das Geschehen wie in den antiken Stücken wie ein Chor kommentiert, an die griechische Tragödie, in der die Figuren ihrem Schicksal ausgeliefert sind. Zwei Operndiven (Dzuna Kalnina und Susanne Pfitschler) greifen in Kompositionen von Uwe Kremp die Leitmotive auf und singen Lieder mit Texten wie: „Es strömte das Blut noch stärker als Wasser.“ Martin Lejeune an der Gitarre und Jens Hunstein an den Blasinstrumenten setzen musikdramatische Akzente. Überreich hat Wilfried Fiebig die Bühne mit surreal von der Decke baumelnden Einrichtungsstücken ausgestattet. Die Darsteller hat er in phantastische Kostüme gesteckt, besonders gelungen ist das Hochzeitskleid der Braut aus sich bauschenden papierenen Küchentüchern. Ergänzt werden Schauspiel, Gesang, Choreographie und bildende Bühnen- und Kostümkunst durch Filmprojektion und ein hinreißendes Schattenspiel auf dem Vorhang zu Beginn dieses wahren Gesamtkunstwerkes. Die Regisseurin Körte hat sich mit dieser Inszenierung noch einmal selbst übertroffen.